VOM FASTEN IN CORONAZEITEN

Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade. So hörten wir am Aschermittwoch aus dem 2. Korintherbrief zur Einstimmung auf die Fastenzeit. Ist sie jetzt da, die Zeit der Gnade, mitten in der Corona-Krise? Ist es die Zeit der Gnade, wenn viele Menschen in großer Sorge leben, immer mehr erkranken und  viele – vor allem in unserem Nachbarland Italien – gestorben sind?

Und unser Pfarrer empfahl  zum Erspüren des Werts der Askese, sieben Wochen auf Alkohol zu verzichten und dann  am Ostersonntag eine Flasche edlen Amarone zu genießen. Ein guter Vorschlag – aber musste es gleich zu einer solch radikalen Umsetzung kommen:  Jetzt verzichten wir gleich ganz auf Restaurants, auf Theater, auf Kinos sogar auf jeglichen persönlichen Kontakt zu Freunden. Wir verzichten sogar auf Gottesdienste (nie hätte ich das geglaubt!). Kann das ein gutes Fasten sein? Kann das eine Zeit der Gnade sein?

Für mich hat Fasten viele Zwecke: Ich übe mich darin, auf Überflüssiges zu verzichten, das Leben etwas zu „entrümpeln“.  Allerdings will ich nicht nur auf das verzichten, was ohnehin „überflüssig“ ist, sondern darüber hinaus auf einiges, was für mich schön ist, was ich im Leben schätze. Dieser Verzicht hat zwei gute Effekte: Ich werde innerlich frei von dem, was mir im Leben als besonders angenehm erscheint, ich gewinne Freiheit – und anderseits kann ich das Schöne nach der Zeit des Verzichts in neuer Dankbarkeit genießen.  Wenn ich etwas „von mir selbst wegkomme“, kann ich im Idealfall auch meinen Mitmenschen anders begegnen, das Gebot der Nächstenliebe wieder ernster nehmen. Und schließlich sollen mir der Verzicht und der durch ihn gewonnene freie Raum dabei helfen, mich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren, in meinem Leben, aber vor allem in meiner Beziehung zu Gott , auf Gott.

Ich habe den Eindruck, dass all diese Ziele durch die außergewöhnliche Situation in der wir leben, intensiver erfüllt werden, als es in „normalen Zeiten“ der Fall wäre:

Ich verzichte – notgedrungen – auf Überflüssiges; auf so manchen Abendtermin, auf so manchen unnötigen Druck im Beruf und auf die so enge wie strenge zeitliche Taktung des Alltags mit Schulkindern. Plötzlich herrschen Zeit und Ruhe, sogar Raum für gründliche Zeitungslektüre. Aber ich verzichte jetzt eben auch auf das, was mir teuer ist: Auf den Gottesdienst in St. Ludwig,  auf einen Theaterbesuch und auf persönliche Kontakte zu Freunden (und sogar weitgehend auf Alkohol..). Das alles hilft dabei, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, auf das Leben mit den Kindern oder auf die – plötzlich geschenkte – Zeit mit dem Partner. Ich stelle auch – bei anderen und glücklicherweise auch bei mir – fest, dass die Menschen zueinander freundlicher sind als sonst. Die Krise bringt uns dazu, Nöte zu erkennen und anderen Hilfe anzubieten.  Und schließlich konfrontiert mich die Krise mit essentiellen Glaubensfragen:  Trägt mich mein Glaube in einer Zeit der Unsicherheit wie dieser? Gelingt es mir, meinen Glauben auch ohne „Sonntagsroutine“ zu leben, alleine zu beten und zu hoffen? Leide ich mit den Leidenden, kann ich Mut machen? Wen oder was vermisse ich an und in meiner Gemeinde, welcher Kontakt tut mir gut, was macht Gemeinde eigentlich aus? Glaube ich, dass alle, deren „irdisches Zelt abgebrochen wird, eine nicht von Menschenhand errichtete Wohnung im Himmel haben“, wie uns ebenfalls Paulus sagt (2 Kor 5,1)? Und noch grundlegender: Glaube ich der biblischen Zusage des „Fürchtet Euch nicht“ oder fürchte ich mich in diesen Zeiten doch allzu oft?

Das alles zeigt mir, dass sie irgendwie eben doch da ist, die „Zeit der Gnade“, auch in der Krise. Und ab und an richte ich den Blick dann schon freudig auf die bevorstehende Auferstehung, auf das Ende der Krise:  Wenn wir unser Leben neu beginnen, mit neuer Freude, mit neuer Aufmerksamkeit für die Familie, mit neuer Wertschätzung für alles, was wir an unserer Pfarrei haben, mit etwas verschobenen Prioritäten, mit mehr Mitmenschlichkeit und erneuerter Dankbarkeit gegenüber unserem Schöpfer. Die lange, radikale Fastenzeit (und für viele: Passionszeit), die wir nun in Isolation und nur geistig verbunden durchleben, kann daher keinen angemesseneren Abschluss finden, als – wie es unserem Herrn Pfarrer vorschwebt – in einer zeitlich verschobenen, gemeinsamen Feier der Osternacht – in Freude und in einer zu neuem Leben erwachten Gemeinde. Und: Selbst im Juli wird es noch Amarone geben.

Andreas Höder, Vorsitzender des Pfarrgemeinderats St. Ludwig