Predigt zum 4. Fastensonnntag
Das Evangelium für diesen Sonntag (IV. In Quadragesima) wirkt fast wie eine antike Komödie. Es ist ein Stück, in welchem sich nach und nach die Rollen vertauschen. Der Blinde wird sehend und die Sehenden werden blind. Die einfachen Leute werden weise und die Weisen werden als die eigentlich Ahnungslosen entlarvt. Oder besser: Es wird klar, dass die Gelehrten nur ihre eigenen Thesen und damit ihre eigenen Interessen vertreten. Jesus räumt gleich zu Anfang der Schriftstelle auch noch mit einem weiteren theologischen Irrtum der Gelehrten auf, die meinten die Blindheit des Mannes komme von der Sünde seiner Eltern – so war das Gottesbild damals und ist es auch noch bis heute zu Teilen geblieben. Jesus geht mit seinem Denken genau in die entgegengesetzte Richtung: Gott straft den Menschen nicht, sondern das Leid ist für Gott die Möglichkeit seinen Trost und seine Heilung am Menschen zu zeigen.
Und damit ist dieses Evangelium, vom „Ersten Sonntag „in corona“ (also nach der Ausgangsbeschränkung)“ ein helfender und tröstender Text:
Zuerst können wir die Stimmen, die von einer Strafe Gottes sprechen getrost zum einen Gehörgang hinein und zum anderen wieder hinaus lassen. Dass sich die Natur an uns rächen würde ist zwar politisch korrekter, aber dahinter steckt der Wunsch, dass die Natur sich im Blick auf die Zerstörungswut des Menschen schon selbst zu helfen beginnt – was leider nie der Fall sein wird, denn es wäre Sache der Natur des Menschen die Natur zu schützen deren Teil er selbst ist. Also halten wir fest: Katastrophen wie diese sind keine Rache Gottes, sondern sie sind der Vergänglichkeit geschuldet – einer Vergänglichkeit in der Gott aber da ist. Mehr noch: Er baut gerade in Zeiten der Not weiter an seinem Reich. Und wenn es nur die Mitmenschlichkeit ist, die in diesen Tagen auch an vielen Stellen erblüht. Es kommt auch der für mich unglaublich entlastende Gedanke dazu, dass wir nicht alles können sondern wir auch in vielem darauf vertrauen müssen, dass unser Tun von einem anderen her vervollkommnet wird.
Zum anderen ist das Evangelium die Aufforderung sein Sehen zu erneuern. Was sieht der Blinde – er sieht die Dunkelheit in sich, der Blinde – den wir hier bitte nicht als medizinischen Fall sehen, sondern als Metapher für den uneinsichtigen Menschen – der Blinde ist eine Figur, die in jedem Menschen wohnen kann. Der Blinde sieht in sich selbst hinein – seine Umwelt sieht er nicht, schon gar nicht die Umwelt, die seine Person geformt hat – oder die es versucht hatte zu formen. Das macht ihn übrigens den Schriftgelehrten ähnlich – diese mögen biologisch sehen, aber im Geist sehen auch nur das, was sie selbst für wahr halten. Für Jesus aber macht es das Menschsein wesentlich aus, dass der Mensch in der Wirklichkeit der Welt lebt. Dazu gehört auch die Welt in mir dazu, die eben nicht nur eine dunkle Zone ist – es aber bleiben kann. Die Welt als Schöpfung, als Geschenk wahrzunehmen bedeutet dann auch: Wissen, dass wir sie jemandem verdanken – dann beginnt in unserer Seele der Blick weit zu werden, wir blicken hinter die Dinge und so übersteigen wir uns selbst. Denn wie uns Thomas von Aquin lehrt ist in der Wirklichkeit aller Sinn zu finden – denn es ist die von Gott geschaffene Wirklichkeit. Damit ist sie gut – weil das heute ja auch immer noch bezweifelt wird, dass wir nichts wirklich wahres finden könnten. (Wobei dieser Satz dann formallogisch auch wieder Unsinn ist – wenn man nichts Wahres sagen kann, dann ist der Satz ja auch nicht wahr….- kleiner metaphysischer Witz von ca. 1250)
Die Wirklichkeit annehmen – auch die jetzige; und wissen, dass es einen Beschützer und einen „Daseienden“ gibt, der uns und die Welt in der Hand hält, das gibt uns Kraft für die Zeiten auch der Einsamkeit oder der pädagogischen Überforderung, des erstaunten Kennenlernens von uns nahe geglaubten Menschen, auch Kraft wenn wir merken, dass wir in uns größere blinde Flecken haben, als wir annehmen wollten. Also immer die Wirklichkeit als mehr ansehen als pures Schicksal, sondern als Ort der Begegnung mit Gott und sich selbst – und natürlich auch mit anderen Menschen, wenn das jetzt auch nur eher aus einer gewissen Ferne möglich ist.
Ein Problem möchte ich noch aus meiner Sicht benennen: Wir erleben in diesen Tagen auch viele, die weiterhin blind sind und nur sich selbst sehen – sie sind offenbar sogar stolz auf ihre Blindheit. Mein „schönstes“ Erlebnis war, als ich gestern aus dem Küchenfenster sah und dort fünf Herrschaften an einer Schischa nuckelten. In meinem Inneren habe ich natürlich sofort das Urteil über diese Wahnsinnigen gesprochen – aber sie sind wohl noch nie dieser Weltsicht begegnet, die mehr ist als das, was man selber zu sein scheint. Statt Wut wäre ein guter Wunsch für solche Leute besser: Ihnen wünschen dass sie sehen lernen – ihr Leben als Teil einer von Gott getragenen Gemeinschaft.
So habe ich mich auch über die Kirche geärgert bzw. darüber, dass wir in den Medien nie vorkamen, dass die Öffentlichkeit also nicht interessiert ob es ein kirchliches Leben gibt oder nicht. Warum hört niemand – oder kaum jemand auf uns Schriftgelehrte? Vielleicht bin ich auch noch in Vielem blind – warum soll ich mich nicht über die Tatsache freuen, dass so viele Menschen ihre Menschlichkeit offenbar neu entdecken und damit das Leben? Vielleicht weil sie es nicht meinetwegen oder der Kirche wegen tun? Ich hoffe dass Jesus auch meine Blindheit sieht! Denn ich möchte schon einmal dieses andere Licht sehen von welchem die Mitmenschlichkeit nur ein kleiner Abglanz ist – bitten wir Gott für uns alle um seine Sehhilfe.
Gesegnete Tage und alles Gute aus den Pfarrhäusern im Namen aller Seelsorgerinnen und Seelsorger, Euer Markus Gottswinter.